7. bis 15. Dezember
Ok, wir müssen langsam den Tatsachen ins Auge schauen: Die angesparte Kohle geht gegen Null. Leider können wir weder Schmuck basteln noch Feuer spucken. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig als Gas zu geben. Auch „nur“ auf der Straße zu sein, kann ein Abenteuer für sich sein. Unser erster größerer Abschnitt geht von Cusco nach Huaraz. Unseren ersten unfreiwilligen Halt machen wir bereits nach etwa 30km. In einem einen Dorf findet eine Art Faschingsparade statt. Eine Umleitung gibt es nicht, auch sonst regelt keiner den Verkehr. So stehen wir plötzlich mittendrin. Erik als Faschingsmuffel wäre froh, wenn es schnell weitergehen würde. Ich finde es ziemlich interessant und lustig. Als es schon anfängt dunkel zu werden, finden wir an der Straße einen Käseverkäufer. Er verkauft uns nicht nur den leckersten Käse, den wir seit langem gegessen haben, sondern erzählt uns auch seine Geschichte: Er hat bei einem Mopedunfall seine Hand verloren, konnte seinen alten Job nicht mehr ausüben und hat sich daher auf das zurückbesonnen, was die Familie früher bereits gemacht hat: Gute Milchprodukte.
Nach einer Nacht vor einer abseits gelegenen Ruine, von der wir noch vor sieben morgens flüchten, um uns den Eintritt zu sparen, einer Nacht in einer Stadt und eine neben einem Maisfeld, werden die super Straßen wieder durch Huckelpisten ersetzt. Der Vorteil ist, dass kaum mehr Leute unterwegs sind. Der Nachteil, dass die Leute, die auf den Straßen sind, noch viel bekloppter sind und dass die Straßen irgendwann so große Löcher haben, dass eine Schraube aus der Bremsebackenhalterung fällt. Und das an einem Tag, an dem wir bereits fünf Polizeikontrollen hinter uns haben. Wir regen uns kurz über die schlampige Arbeit des Mechanikers auf. Umso mehr sind wir überrascht über die Hilfsbereitschaft der Menschen und wie viel Gutes und Besonderes so ein Erlebnis dann doch auch mit sich bringt. Wir kommen also nachts in einer seeehr kleinen Stadt an, fragen dort nach einem Mechaniker oder einem Werkzeugladen. Beides eher nicht zu finden. Auch nicht mit Hilfe der Polizisten, die uns quer durchs Dorf begleiten und an jeder Haustüre klopfen, um zu fragen wer eine Idee für unser Problem hat. Schließlich finden wir einen Mann, der am nächsten Morgen in die Stadt fährt und uns die Schraube mitbringt. Bezahlen müssen wir dafür überhaupt nichts, wird sich herausstellen. Wir übernachten vor der Polizeistation und dürfen dort auch das Bad benutzen. Als wir am nächsten Tag auf die Schraube warten, sammelt sich eine große Menschentraube vor unserem Bus. Einige denken wir würden etwas verkaufen, was aufgrund des fehlenden Angebots nicht unüblich ist, andere sind einfach nur neugierig, stellen Fragen oder schauen nur. Eine Frau erzählt uns von einem Amerikaner, der in ihrem Dorf war um Dinge zu verkaufen. Sie hat eine italienische Espressomaschine gekauft, weiß aber nicht wie man sie bedient. Wir machen unter reger Beteiligung des Menschenauflaufs eine Vorführung und eine Kaffeeprobe. Der Ärger über die kaputte Bremse ist schon ganz vergessen…
… bis der nächste kommt. Ab von der Hauptstraße, auf einer Schotterstraße durch den Nationalpark, verlieren wir einen Stoßdämpfer. Bei Eiseskälte und leichtem Schneeregen legt sich Erik unters Auto und repariert alles provisorisch. Es geht nur noch langsam voran, noch ein paar mal müssen wir anhalten. Zum Glück ist die Landschaft wieder sehr beeindruckend und lenkt von allem etwas ab. Huaraz liegt wahnsinnig schön umgeben von den höchsten Bergen Perus. Nach einer Nacht und einem Besuch im Schraubenladen geht’s schon wieder weiter. Nicht weniger abenteuerlich wie bisher, aber ohne Pannen. Die Straße ist wieder geteert, schlängelt sich aber teilweise einspurig in einem Canyon entlang. Ob in einem der fünfzig Tunnel jemand entgegenkommt, sieht man nicht. Es ist mehr ein Glücksspiel. Alle fahren sehr vorsichtig und LKWs kommen auch kaum entgegen. Schon als wir fast am Ende angekommen sind, staut sich’s plötzlich. Ein Gas-LKW und ein Bus haben sich in der Kurve geküsst. Für eine Weile geht nichts mehr vor oder zurück. Nach einem ausgedehnten Espresso können wir aber weiterfahren. Die Nacht verbringen wir noch im Canyon, direkt am Fluss mit mildem Klima und einer tollen Aussicht.
Am nächsten Morgen geht die erste Strecke durch ein fruchtbares Tal, in dem Mais, Melonen und Reis wächst. Schließlich kommen wir dann zum ersten Mal überhaupt auf die berühmte „Panamericana“. Was das bedeutet? Geteerte Straßen, vierspurig und jede Menge Verkehr! Durch die Wüste hindurch, vorbei an großen Sanddünen, merken wir von Kilometer zu Kilometer, wie es wärmer wir, bis wir schließlich zum ersten Mal mit Bus das Meer erreichen! Es immer wieder magisch dieser Moment! Für diesen Abschnitt lassen wir uns nicht viel Zeit. Es soll ziemlich gefährlich sein. Immer wieder kam es zu bewaffneten Raubüberfällen oder anderes kriminellen Geschichten wie Organ- oder Kinderhandel. Im kleinen Fischerdorf an der Küste fühlen wir uns sicher. Das einzig richtig „gefährliche“ ist unser GPS und die unbeschilderten Einbahnstraßen, an deren Eingang ganz unverhofft die Polizei wartet, uns die Papiere abnimmt und uns mit aufs Revier nimmt. Alles Reden hilft nichts, wir sitzen diesen zwei breitschultrigen Polizisten mit Pokerface und Sonnenbrille gegenüber. Sie wollen, dass wir auf dem Bürgerbüro eine Strafe von 470 Pesos bezahlen – das ist unser komplettes Budget von 2,5 Tagen! „Ausgerechnet“ ist der Boss gerade nicht da, wir müssen warten, werden schräg angeschaut und es werden uns komische Angebote gemacht. Wir wollen nicht auf die Korruption eingehen. Wir wissen aber immer noch nicht, wo wir hin müssen um die Strafe bezahlen, unser Auto wollen sie einbehalten, wenn wir nicht bezahlen, die Zeit vergeht und die Situation wird immer unheimlicher. Irgendwann steht der Entschluss: Wir müssen hier weg! Wir einigen uns auf einen Betrag und schauen, dass wir Land gewinnen. Was für eine blöde Situation, mit einem blöden Ende, aber einem umso tolleren Abend: Unser Bus parkt direkt am Strand, mit Blick auf’s Meer gibt es ein kühles Bier und eine frische Wassermelone. Zum Baden ist es sogar Erik zu kalt, aber das erste Mal im Pazifik baden geht dann doch. Zum Wärme tanken reicht’s aber allemal. Der Strand ist außerdem für die längste Surfwelle der Welt bekannt.
Den am nächsten Tag frisch gekauften Fisch packen wir in die Kühltruhe und fahren damit weiter in Richtung Norden. Kurz vor der ecuadorianischen Grenze machen wir noch einmal einen Stop auf dem Grundstück eines Künstlers. In der Gesellschaft von zwei Schweizern gibt es Wein, Honigschnaps und gegrillten Fisch.